Ist Neid das Eingeständnis des eigenen Versagens, dass jemand anderer etwas besser kann oder hat? Was unterscheidet dann Neid von Peinlichkeit?
Die schnelllebige Zeit verlangt immer weitere Hochleistungen. Wer zu langsam oder zu schwach ist, wird ausgesiebt. Im Berufsleben wird immer öfter verlangt auch außerhalb der vertraglich vereinbarten Bedingungen zu arbeiten, erreichbar zu sein. Und viele sind es dann auch. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass manche es nur machen, um ihrer Umgebung zu zeigen, wie toll sie sind. Wichtig sind. Unersetzbar sind. Unaufschiebbare Telefonate, mit denen sie in der Ubahn, in Restaurants, in Warteräumen oder sonst wo einfach nur ihre Mitmenschen penetrieren wollen.
Und dazwischen braucht man natürlich Hobbies. Am besten schön ausgefallene. Früher ging man einfach nach der Arbeit laufen und hielt das Maul. Heutzutage wird auf Runtastic getrackt, geteilt, angefeuert. Oder hinterher erzählt man großartig herum, was man geleistet hat – und dabei nehme ich mich selber gar nicht aus.
Es soll auch Leute geben, die sich so ein Fitnessarmband kaufen, damit sie wissen wie viele Schritte sie pro Tag schon gegangen sind bzw. noch gehen müssen. Warum gehen die nicht einfach eine Stunde locker joggen? Dann hat man das Pensum auch erfüllt. Ach, da ist man ja nicht so hip, weil es online niemand sofort mitbekommt.
Es wird auch schon mal ein Work-Out im Fitnessstudio gemacht (zu dem man natürlich mit dem Auto fährt) und bezahlt dafür. Dann stellt man idealerweise noch Fotos davon in soziale Netze und schaut sekündlich nach, ob es irgendein Spast geliked hat.
Was gibt’s sonst noch? Freeletics? Gut, das macht ja noch Sinn, weil man quasi keine Hilfsmittel benötigt oder dafür zahlen muss (von DVDs und so Dreck mal abgesehen).
Zumindest habe ich den Eindruck, dass Leute oft Geld für Dinge ausgeben, um etwas machen zu dürfen damit sie anderen imponieren.
Golfen vielleicht noch? Als Geschäftstermin getarntes Gepose unter Managern und Möchtegerns. Kann aber auch sein, dass ich Vorurteile habe und lediglich das Klischee bediene.
Ich hab – abgesehen von einer 20 minütigen Ball-gegen-die-Leinwand-dreschen-Session beim Intersport – noch nie gegolft. Halt, stimmt nicht: bei einem Wochenendeinsatz (beruflich, war vertraglich vereinbart) hab ich mit meinem Kollegen damals quer durchs Büro geputtet, weil uns langweilig war.
Ich merke soeben, dass ich noch nie jemandem vom Büro-Putten erzählt habe. Es gibt auch keine Fotos oder Videos davon, war knapp vor dem Smartphonezeitalter.
Würde ich es heute wieder machen? Logisch.
Würde ich Fotos davon machen? Eventuell.
Würde ich so blöd sein und sie irgendwo posten, sodass sie jemand aus der Firma finden könnte und ich mit Konsequenzen rechnen müsste? Bestimmt nicht.
Anders aber bei Freizeitaktivitäten. Jeder Scheiß wird heutzutage gepostet, vervielfältigt, verbreitet. Aber warum? Profilierungssucht? Ist es ein instinktbedingter Konkurrenzkampf, den anderen zu zeigen (oder sagen), dass man selber besser ist? Versuchen wir die Mitmenschen zu manipulieren, eben neidisch zu machen?
Ich habe in letzter Zeit einige Bücher gelesen und da kam mir eine interessante Frage unter: „Würden wir bestimmte Dinge machen, wenn wir sie niemandem mitteilen könnten?“ „Klar“ wird jeder sagen. Aber ich bin mir da gar nicht so sicher. Oder haben wir immer schon alles gemacht, aber die Möglichkeit der Verbreitung war noch nicht gegeben?
Laut einer Studie von Stephen Wolfram hat der durchschnittliche Facebook-User 342 Freunde. Das heißt: jedes Essen, jedes Blümchen, jedes Selfie welches geteilt wird, sehen sofort mehrere hunderte Leute (ob Freunde oder nicht ist egal). Ich vermute auch, dass man umso mehr postet, je mehr Follower man hat.
Wer von uns hat vor 20 Jahren mit einer Analogkamera das Sonntagsschnitzel, Wanderschuhe, den Himmel oder eine Straßenbahn fotografiert, das Bild dann kopiert und all seinen Bekannten zukommen lassen? Vermutlich nicht jeder. Von langweiligen Dia-Abenden mit völlig unlustigen Motiven, die doppelt und dreifach vorkommen, mal abgesehen.
Trivia: Analogkameras sind Geräte, in denen man eine Filmspule einlegen und nach 24 oder 32 Fotos zum Entwickeln in ein spezialisiertes Fotogeschäft bringen musste, wo man die Fotos dann ein paar Tage später abholen konnte. Gegen Bargeld. Diese Kameras wurden um die Jahrtausendwende dann von Digitalkameras abgelöst. Und diese – von DSLRs abgesehen – dann immer mehr von den Smartphones. Und Dias waren quasi die Vorläufer der ausgearbeiteten Fotos der Analogkameras. Da projizierte man das Bild an eine helle Wand. War aber sogar vor meiner Zeit.
Conclusio: Es scheint mir also eher an der Schnelllebigkeit zu liegen. Somit schlussfolgere ich auf die Frage aus dem Buch: Wir haben Dinge schon immer gemacht, aber es war uns meistens egal, ob es jemand mitbekommen hat. Heute wird aber alles direkt in die Umwelt rausgerülpst. In der Hoffnung dass es jemand aus irgendeinem Grund cool findet.
Mir persönlich ist Neid ja egal. Ich wäre eher sauer auf mich selber, wenn jemand etwas besser kann oder macht. Super ja auch immer das lange Gesicht wenn ich etwas mache und auf den Satz „Boah, ich will das auch machen!“ lapidar mit „Dann mach doch.“ antworte.
Tja, auf sowas kommen die wenigsten. Da bleibt man dann lieber der neidische Voyeur. Ist auch bequemer (und kostet nix).
(Warum heißt es „projizieren“ aber „der Projektor“?)
chefgue
Hab soeben zwei Fehler im Text ausgebessert, die anscheinend noch niemandem aufgefallen sind.
Findet jemand noch weitere?
Mit grammatikalischen Grüßen,
der Rechtschreibnazi