Als wir vor ein paar Wochen im Schmiersuff auf die Idee kamen, im Juni bei einem 5 km Volkslauf mitzumachen, konnte ich noch nicht ahnen was das für Auswirkungen haben wird.
Fünf Leute, alle mehr oder weniger unsportlich bzw. nicht im Training aber motiviert. Wobei ich der Meinung bin, dass man für fünf läppische Kilometer nicht trainieren muss wenn man sich selber keine Ziele steckt. Denn wenn man nicht grade einbeinig ist, sollte man es in normaler Gehgeschwindigkeit in unter einer Stunde machbar sein.
Ich hatte aber ambitioniertere Ziele und wollte die Strecke auf alle Fälle mal in unter 25 Minuten laufen.
Also begann ich bereits am Tag danach mit dem Training. Lockere Mittagsrunden, ähnliche Strecke wie sie beim Bewerb sein wird, gute Zeiten, Intervalle eingebaut,… Alles top.
Wir bekamen es sogar hin, Einheiten zu dritt zu absolvieren – schwer motiviert also alle. Naja… schwer und motiviert.
Als ich am Star Wars Day (May the Force be with you) mittags bei perfektem Wetter (Sonne, 19 Grad) meine Runde drehte, merkte ich, dass ich ein wenig schneller als sonst unterwegs war. Den vierten Kilometer absolvierte ich seit langem wieder mal unter 5 Minuten. Doch kurz danach, als ich einen Schritt von der Straße auf den Gehsteig machte, verspürte ich einen Stich in der linken Achillessehne und musste abrupt stehen bleiben.
Ich rieb an der Stelle, wohlwissend, dass das genauso viel bringen würde, wie wenn man bei einer Autopanne einfach nur planlos – wie eine Eule nach dem Waldbrand – unter die Motorhaube glotzt. Oder beim Autokauf als Test, ob es irgendwelche Mängel gibt, einfach nur gegen den Reifen tritt und “Mmmmmmmjjoooo” murmelt, um seine völlige Ahnungslosigkeit zu kaschieren.
Wie auch immer – ich versuchte im wahrsten Wortsinn wieder Fuß zu fassen, um die letzten paar hundert Meter nach Hause zu schaffen. Hab ich auch mit leichtem Traben.
Scheiß auf weitere Details was ich dann die nächsten Tage gemacht habe, bis ich endlich mal zum Arzt ging um mir den Huf ansehen zu lassen, da die Schmerzen weder besser noch weniger wurden. Was sollen überhaupt “bessere Schmerzen” sein? Der gleiche Bullshit als wie wenn (got it?) jemand sagt “Der Preis ist bei Laden A weniger als bei Laden B”.
NEIN – Es “kostet weniger” oder “der Preis ist niedriger”. Lern mal Artikulation.
Die Tante dort hat mich dann geultraschallt, also die Sehne, und stellte ein paar Faserrisse und ein kleines Blutgerinnsel fest, welches gegen die Achillessehne drückte. Das dürfte auch die Schmerzen verursacht haben, die ich beim Humpeln hatte.
Ich bekam die Info, dass keine Operation nötig wäre, sowie einen Verband und ein Rezept für einen Fersenkeil. Das Teil stützt den Fuß und entlastet die Sehne.
Ich war glaub ich innerhalb einer halben Stunde wieder aus dem Ärztegemeinschaftszentrum draußen und humpelte quer durchs Dorf zum Sanitätshaus, um mir diesen ominösen Keil zu holen.
(Notiz an mich: “Wortspiel mit ‘ominöser Adipöser’ kreieren”)
Dann begann die Action…
Ich betrat das unscheinbare Fachgeschäft und ging an den Rollatoren und Pflegebetten vorbei in Richtung Tresen, wo sich zwei ältere Männer unterhielten. Als Notiz von mir genommen wurde, wurde der Kunde mehr oder weniger vom Chef abmoderiert. Aber nicht ohne ihn zu bitten noch einen Brief im Postkasten einzuwerfen. Dazu klebte der Ladenboss zu viele Briefmarken drauf, da er “nicht weiß, was das genau kostet”.
Dann widmete er seine volle Aufmerksamkeit mir und fragte nach meinem Begehr. Ich murmelte was von “Fersenpolster” und gab ihm das Rezept in die Hand. Er beachtete es gar nicht, legte es auf die Empfangstheke und begann mit der “Untersuchung”. Hab mich ordnungsgemäß hingestellt und mich begutachten lassen. Er wäre ausgebildeter oder zertifizierter irgendwas. Hab ich vergessen. Orthopäde, Haxendoktor, Hufschmied, ich weiß es nicht mehr.
Es entwickelte sich ein lockeres Gespräch über Über- bzw. Unterpronation, es gab Anschauungsunterricht mit Hilfe eines Skelettfußes, mir wurde die Geschichte über das Geschäftslokal erzählt, dass er der einzige dort ist, also der Chef, aber das Sanitätshaus wohl eine Kette wäre,… Super angenehme Atmosphäre, die Zeit war mir da völlig egal. War es doch Mittwoch und ich hatte mir im Home Office, welches aus rechtlichen Gründen eigentlich “mobiles Arbeiten” genannt werden muss, mal zwei Stunden von 8 bis 10 Uhr geblockt.
Wir waren die ganze Zeit über allein – uns gehörte die Bude, die Zeit, die Welt.
Irgendwann fragte er mich, woher ich ursprünglich käme. Anstatt einer üblichen, blöden Antwort wie “aus meiner Mutter” antwortete ich ihm wahrheitsgemäß irgendwas mit Graz und Wien.
Heimatklänge
Er offenbarte mir, dass er halber Wiener wäre, also sein Vater von dort wäre, aber irgendwas wegen Krieg, Russland, Danzig,… alles war dabei.
Willi, der Orthopäde, wurde 1951 geboren, wie ich auf seinem Diplom an der Wand ablesen konnte. Dass er mir es auch im weiteren Verlauf des Vormittages mehrmals gesagt hat lasse ich mal unerwähnt.
Dann begann er ein paar Anekdoten zu erzählen, dass sein Cousin 1er-Taxler in Wien war und somit auch durchs Burgtor vor die Hofburg fahren durfte. Im Gegensatz zu 2er-Taxis. Wusste ich gar nicht. Also fuhr der Cousin mal hinter einem Fiaker her Richtung Hofburg und war genervt von einem Kutschengaul. So genervt, dass er die Scheibe runterließ und rausbrüllte. Und Willi hat das im perfekten Dialekt nachgemacht. Also kein Imitationsösterreichisch, wo es jedem Österreicher die Zehennägel aufrollt, sondern echtes, ehrliches Wienerisch. “Heast Oida, fohr Dein Leberkas auf’d Seitn!”
Falls hier Piefke mitlesen: Der Witz daran ist, dass Pferdeleberkäse in Wien als Spezialität gilt.
Es ging weiter mit Geschichten über seine an Krebs erkrankte und von ihm palliativ gepflegte Frau, die… [aus Gründen gehe ich nicht näher drauf ein].
Weiters, dass er gerade mit einem Freund, der Schriftsteller ist, an seiner Biographie schreibt, dass sich im Leben immer wieder Kreise schließen, unzählige Sachen…
Die Zeit verging wie im Flug, das war so ein super Erlebnis, ein sensationeller Vormittag. Er schenkte mir dann noch ein Buch von besagtem Schriftsteller, bot mir das “Du” an (obwohl wir uns eh schon die ganze Zeit duzten), gab mir das keilförmige Silikonkissen für die linke Seite bzw. fixierte es fachgemäß unter der Einlage im Schuh.
Dass sein Rechner grad streikte und ich somit die Rezeptgebühr nicht zahlen konnte, kostete ihm nur ein müdes Lächeln. Er meinte, ich soll einfach in den nächsten Tagen mal vorbei kommen.
Und auch meine Laufschuhe (Asics Gel-Phoenix 8, 670 km sind da ca. drauf) mitbringen, damit er eine meiner Fußstellung gerechten Empfehlung aussprechen kann.
Und wenn ich das Buch ausgelesen hätte, soll ich damit auch nochmals vorbeikommen, dann krieg ich noch ne Widmung vom Autor reingekratzelt.
Nach etwas über einer Stunde verließ ich die Bude und war geflashed.
Keine Ahnung, ich spreche oft mit verschiedenen Leuten, Small Talk hier, ein flotter Spruch da, bli bla blubb, aber das am 10. Mai war was Besonderes.
Wenn einen etwas über Tage hinweg positiv beschäftigt, dann hat das für mich einfach einen Mehrwert.
Schreibe eine Antwort